Mittwoch, 13. Februar 2008

Dekonstruktion

Diesen Artikel habe ich gerade im "Kranken Boten", dem Magazin der Jesus Freaks, entdeckt. Weil er mich total geflasht hat und meine (unsere?) derzeitige Situation ziemlich gut umreißt, poste ich ihn mal hier.


Dekonstruktion: Am Morgen danach
Wenn der Glaube in die Pubertät kommt


Nein, dies ist kein Leserbrief an eine christlich-psychologische Beratungsstelle, um verzweifelt den Weg aus einer existenziellen Glaubenskrise zu finden. Dieser Artikel berichtet auch nicht darüber, wie am Tiefpunkt der Glaubenszweifel eine übernatürliche Lichtgestalt dem gefallenen Bruder aufhilft.
Dieser Beitrag beginnt mit einem Eingeständnis: Ich habe meinen bisherigen Glauben verloren. Und das ist auch gut so.

In den vergangenen Jahren und Monaten diskutierten landauf und landab Freikirchen, Jesus-Freaks-Gruppen und christlich-revolutionäre Zellen über die „Dekonstruktion“ des Glaubens. Eine Flut von Weblog-Autoren zerbrach sich ihren Kopf darüber, was mit diesem Begriff gemeint sein könnte.
Dekonstruktion scheint das Gegenteil von Konstruktion zu sein – also Rückbau, Abbruch, Demontage. In diesem Zusammenhang diskutierten Freidenker und so genannte „Emerging Churches“ darüber, ob Lobpreis jenseits der klassischen, bekannten Schemata möglich sei – beispielsweise in Form von interaktiven, künstlerischen Aktionen im Gottesdienst. Die eifrigen Dekonstruktivisten stellen viele unbequeme Fragen, ohne zu wissen, ob sie die Antwort wirklich wissen wollten.

Diese Dekonstruktion, diese Fragen haben auch meinen Glauben erreicht: Schmerzhafte Fragen, die wie eine Abrissbirne mein kunstvoll konstruiertes Glaubensgebäude erschütterten. Was glaube ich denn wirklich? Oder glaube ich denn wirklich? Kann Glaube wirklich sein? Und wie wirklich ist die Wirklichkeit? Gibt es wirkliche, objektive Elemente in meinem Glauben oder sind diese Elemente nur durch mich oder durch andere konstruiert worden?
Die Abrissbirne zeigte ihre Wirkung: Nach und nach zerbrachen Konstrukte wie „Lobpreis“, „Gottesdienst“, oder „Gemeinde“ und gaben den Blick auf ein erstaunlich kahles Fundament frei: Die Existenz Gottes in meinem Leben.
Die Frage, ob und warum die bisherigen Ausdrucksformen meinen Glauben definieren sollten, nagte wie ein Presslufthammer an mir. Wo ich einst verzückt und hingebungsvoll jede Anbetungszeit für mich nutzte, stand ich nun entfremdet neben verklärten Menschen.
Wo einst Elemente wie Gottesdienst, Hauskreis und Gemeindeversammlungen meinen Alltag prägten, fand ich nun sinnentleerte Treffen vor, die mich im günstigsten Fall langweilten – im schlimmsten Fall verließ ich diese Termine verstört und wütend.

Seltsamerweise ging es mir dabei von Tag zu Tag besser, je mehr ich meinen bisherigen Glauben verlor. Es ging mir gut, solange ich nicht auf Christen traf, die mir einen klassischen Abfall vom christlichen Glauben attestierten. Ich zog die Konsequenzen und umging den Kontakt mit (solchen) Christen weitestgehend.

Habe ich meinen Glauben verloren?
Ja – den Glauben an emotional besetzte, menschlich konstruierte Worthülsen wie Lobpreis, Gottesdienst, Hauskreis, Jesus Freaks. Und nein – ich bin überzeugt, dass die Existenz Gottes in irgendeinem Bezug zu meiner eigenen Existenz steht und dass ich meine Werte, meine Lebensphilosophie besser mit dem christlichen Glauben begründen kann als mit einer politischen oder subkulturellen Ideologie. Alles andere ist verhandelbar.

We‘ve lost the hands which kept us save. Ich habe viel verloren – die Geborgenheit eines naiven, zweidimensionalen Bildes über Gott und die Welt.
Und ich habe viel gewonnen – die Freiheit, meinen Glauben neu auszuhandeln, neu zu konstruieren – Ausgang: völlig offen. Oder als Gebet formuliert: „Lass mich meinen bisher Glauben verlieren, wenn er zwischen mir und dir steht.“

Erstaunlicherweise traf ich immer wieder auf Menschen, die mit einem ähnlichen Prozess in ihrem Leben und Glauben beschäftigt waren. Vielleicht ist dies ein Zeichen für eine Art Pubertätskrise sowohl in Bezug auf den eigenen Glauben als auch auf die Jesus-Freaks-Bewegung. Eine Krise, die dadurch geprägt ist, das bislang Vorgegebene komplett zu hinterfragen, über Bord zu werfen, zu rebellieren und auszusteigen.
Und diese kritische Phase beinhaltet auch, die bisherige Beziehung zu Gott in Frage zu stellen, vielleicht abzubrechen, um sie ganz neu aufzubauen.

Die Entwicklungspsychologie spricht davon, dass die Krise zwischen Eltern und Kind in der Pubertät existenziell wichtig ist, um später zwischen den Generationen eine Begegnung auf der selben Ebene, in der Welt der Erwachsenen zu ermöglichen. Wenn sich diese Erkenntnis auf das Wachstum im christlichen Glauben übertragen lässt, wäre viel gewonnen.
Vielleicht ist es notwendig, eine Pubertätskrise im Glauben zu durchleben, um erwachsen zu werden. Erwachsen werden im Glauben – dann wäre eine Begegnung zwischen mir und Gott auf der selben Ebene möglich: nicht als übermächtiger Vater, sondern als Freund, als Ratgeber, als Partner.

Wir sollten darüber nachdenken, ob wir als Jesus Freaks, als Freunde diesen Prozess bei den Menschen um uns begleiten können. Dabei geht es nicht darum, vorschnelle Antworten und vorgefertigte Floskeln anzubieten. Wir sollten bereit sein, gemeinsam zu suchen, zu fragen und abzureißen. Diese Begleitung entscheidet darüber, ob die Dekonstruktion des Glaubens zur existenziellen Sinnkrise oder zu einem ganz neuen, komplexen Bild von Gott und Glauben führt.
Was haben wir denn zu verlieren?

Autor: Markus Beißwanger

Link zum Artikel auf der Webseite der Freaks

2 Kommentare:

schneekoenig hat gesagt…

Das trifft es doch genau! Danke!

Anonym hat gesagt…

Ja sehr nice. Grade eben gelesen. Während ich das gelesen hab und kurz vor der Zeile war mit den:

"Es ging mir gut, solange ich nicht auf Christen traf, die mir einen klassischen Abfall vom christlichen Glauben attestierten."

Hat mich in skype jemand mit ähnlicher Intention angeschrieben. strange ...